Die drei Lebenden und drei Toten




 


Nachdem wir in den vergangenen Jahren mehrfach auf besondere Ausstattungselemente der St.-Jodok-Kirche aufmerksam machten, wollen wir diese Reihe 2018 mit dem Wandbild der drei Lebenden und der drei Toten fortsetzen.

Erstmals können wir uns dabei auf eine wissenschaftliche Arbeit berufen, die 1908 von Karl Künstle mit dem Titel „Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten und der Totentanz“ im Verlag Herder erschienen ist.

In diesem Zusammenhang ist das Andenken an den im Februar 1908 verstorbenen Münsterpfarrer von Überlingen Dr. August Freiherr von Rüpplin anzumerken, der exponiert in der Widmung der Arbeit Erwähnung findet und der wohl maßgeblich an der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas beteiligt war.

Auslöser der Arbeit war die Freilegung der Wandmalereien in der St.-Jodok-Kirche durch die Werkstatt Mezger in den Jahren 1902/03.



   Bestandszeichnung Die drei Lebenden und drei Toten
   von Viktor Mezger, sen nach der Freilegung 1903




Künstle geht zunächst allgemein auf die Wandmalerei der Gotik und Spätgotik im Bodenseeraum ein, bevor er auf die Bilder der St.-Jodok-Kirche näher aufmerksam macht. Zur Wandmalerei der drei Lebenden und drei Toten beschreibt er sinngemäß:

...Der unter der Nothelferreihe angebrachte Bilderfries scheint mit einer Kreuzigungsgruppe zu beginnen, von der aber mit Sicherheit nur noch Johannes zu erkennen ist. Daneben schreiten gen Westen drei Fürstengestalten; die beiden vordersten tragen lange Brokatmäntel, die hintere ein eng anliegendes, bis fast an die Knie reichendes Wams; die mittlere hält in der Rechten ein Lilienzepter; auf der Faust des zweiten und dritten Fürsten sitzt je ein Falke. Alle drei tragen barettartige Hauben. Der halb geöffnete Mund und die starr vorwärts gerichteten Augen sollen Überraschung und Schrecken ausdrücken. Diese Seelenstimmung ist begreiflich, denn es begegnen den drei Fürsten drei Tote, über deren abgemagerten Gestalten ein loser Mantel hängt. Bei dem ersten Toten ist leider die obere Partie bis zur Brust mit dem Verputz abgefallen, während die beiden anderen ganz intakt sind. Diese tragen mit weißen und roten Schlangen bedeckte Kronen über den totenkopfartigen Gesichtern. Die sechs Gestalten und auch die Kreuzigungsgruppe heben sich von einem dunkelgrünen Teppich ab; der Zwischenraum zwischen diesem und der Borte, die den Bildfries nach oben abgrenzt, ist mit verschlungenen Schriftbändern ausgefüllt, deren Text sich aber nicht mehr entziffern lässt....

Zu ergänzen wäre noch, dass sich der angesprochene Teppich rot und mit einfach ausgefüllten Ornamenten an den beschriebenen Fries nach unten bis ans obere Ende der Sitzbänke anschließt. Die ganze Darstellung hat die Anmutung einer Tapisserie.

Nach weiteren Ausführungen geht er auf den Schriftzug ein, der in Wortfahnen über den Personengruppen sinngemäß lautet:

Wir waren, was ihr seid;

Doch kommen wird die Zeit,

Und kommen wird sie euch geschwind,

Wo ihr sein werdet, was wir sind.

Künstle verweist auf den vorchristlichen Ursprung des Textes, der durch die arabische Spruchpoesie im 10. oder 11. Jahrhundert nach Spanien gelangte und von dort durch den in dieser Zeit reichen literarischen Austausch zwischen den Religionen in Mitteleuropa Verbreitung fand.

Weiter belegt er und führt zahlreiche Beispiele an, wie sich aus dem Spruch ganz unterschiedliche dramatische Legenden formten, die-religiös mahnend und motivierend- sich im Mittelalter großer Beliebtheit erfreuen.

Zunächst als Illustrationen literarischer Formen verarbeitet, hat die Legende ihren Ursprung in Frankreich und findet sich im 13. bis zum 15. Jahrhundert auch in monumentaler Darstellung besonders in Nordfrankreich, weniger in England, Italien, den Niederlanden oder in Deutschland wieder.Bevor Künstle seine Ausführungen über den von ihm mit dem Wandbild in Verbindung gebrachten Totentanz weiter vorsetzt, stellt er sich die Frage, welchem Umstand es zu verdanken ist, dass die Wandbilder aus der Gründungszeit der St.-Jodok-Kirche: Galgenwunder, die drei Lebenden und Toten, der nur noch schwer zu erkennende Wandfries auf der nördlichen Chorwand, eine Marienlegende und das Wandbild der heiligen Kümmernis, rechts unter der Chorempore, in Zusammenhang stehen.

Die dem Wandbild in Überlingen zugrunde liegende Legende weist in Form und Darstellung nach Frankreich. Drei hochgestellte junge Männer treten in Dialog mit drei Toten ihres Standes, dargestellt durch drei bekrönte Skelette. Die Toten mahnen das lasterhafte irdische Leben an und weisen auf die Vergänglichkeit des Seins hin. Die angefügte Kreuzgruppe versinnbildlicht die Erlösung der begangenen Sünden durch Jesus Christus und soll Hoffnung und Trost spenden.





   Münsterpfarrer von Überlingen
   Dr. August Freiherr von Rüpplin, 1908










     Wandbild Die drei lebenden und drei Toten
     St.-Jodok-Kirche, Überlingen



   



















Schwerttanz und Totentanz





Unvermittelt stellt Künstle aufgrund der Darstellung der drei Lebenden und der drei Toten eine Verbindung zur lokalen Tradition des Schwerttanzes her. Dabei schildert er die Aufführungspraxis des Schwerttanzes zur Fastnacht. Wie damals üblich bestand die Kompanie nur aus Bürgern des nahen Umfeldes der St.-Jodok-Kirche.

Er zieht erstaunliche Parallelen zum Dorf Pont de Cervières im Departement Hautes-Alpes, Frankreich, in dem am Gedenktag des heiligen Rochus, dem 16. August, ein Schwerttanz, Bacchu-ber genannt, aufgeführt wird, um die Fürsprache des Heiligen gegen die Pest zu bewirken. Interessant ist, dass die Schwertfiguren der Tänzer trotz der weiten räumlichen Trennung große Gemeinsamkeiten aufweisen.


  Schwerttanz
  Cervières, Frankreich




Sollten das Überlinger Wandbild und der Schwerttanz seiner Bürger eine ursprünglich ähnliche Bedeutung haben? Zu Beginn des letzten Jahrhunderts versammelten sich die Überlinger Schwerttänzer an Fastnacht, noch bevor sie den Waffentanz antraten, in der St.-Jodok-Kirche, um unter dem Wandbild der drei Lebenden und der drei Toten die heilige Messe zu empfangen.

Nicht weiter geht Künstle auf die Stellung des Hänsele im Schwerttanz ein. Er, der nach aktueller Lesart als Sinnbild des Todes und des gesellschaftlich Geächteten fungiert, war wohl nur während der Fastnacht geduldet und durfte sich auch nur da verlautbaren.

Der Zusammenhang zwischen Pest, Schwerttanz, Hänsele, Fastnacht und Totentanz wäre  wert, tiefer ergründet zu werden.










  Schwerttanz
  Überlingen


























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